16. DEZ – 13. FEV 2010
 
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Die Vernissage – Christina Metz
 

Kurz vor Weihnachten öffnen Silke Schröder und Paulo Mulatinho wieder die Türen ihrer Origami-Galerie und zeigen Werke des in Florenz lebenden Iraners Ramin Razani.
Wie gewohnt drängen sich die Besucher neugierig und erwartungsvoll in dem kleinen Ausstellungsraum; wie gewohnt sind die unterschiedlichsten Nationalitäten hier versammelt. Englisch, Italienisch, Französisch, Brasilianisch, … dringt in die Ohren und man merkt, die Kunst des Origami verbindet – über Nationalitäten hinweg.

Abermals erscheint die Galerie in ganz anderem Gewand und eröffnet dem Besucher neue DIMENSIONEN – so auch der Titel der Ausstellung – der Faltkunst.
Zunächst sieht man Leuchten, stets das gleiche Modell, aber stets in anderer Form. Ramin Razanis „Miformi“-Leuchte ist nämlich nicht nur sehr ansprechend, sie fordert auch die Kreativität des Besitzers. Aus dem zweidimensionalen Polypropylen-Modell können die verschiedensten 3D-Modelle gestaltet werden, entweder nach Anleitung oder nach ganz eigener Idee.
Ebenfalls aus Polypropylen, nicht so wandelbar, aber nicht weniger reizvoll sind die verschiedenen Zzzoolight-Lampen. Schnecke, Frosch, Elefant und Pinguin tummeln sich hell erleuchtet in einer Ecke des Ausstellungsraums. Und der Bär, der hat es dem Freisinger Kulturreferenten Dr. Hubert Hierl besonders angetan.

Razanis Kunst hat aber auch eine andere Seite. Diese verrät das Architekturstudium, das der Künstler in Florenz absolvierte. Ephemäre Gebilde, aus reinweißem Papier, aber auch aus makellosem Edelstahl oder Messing erheben sich auf Podesten oder schweben im Raum.
Sie tragen klangvolle Namen und faszinieren den Betrachter. Eine geometrische Grundform wird durch feinste, exakteste Schnitte und präzise Faltungen in sich geöffnet, aufgefächert und vervielfacht und öffnet sich in eine neue Dimension. Modelle einer Architektur der Zukunft, die Freiheit und Raum in sich vereint, die Blicke auf sich zieht und begeistert.
Schwerelos leicht und voller Bewegung sind die Werke. Welche Schwierigkeit aber in ihnen steckt, das zeigen die 3D-Programme, mit denen Razani die Formen entwirft.
Und es wäre nicht eine Vernissage von Paulo Mulatinho und Silke Schröder, wäre dem Besucher nicht die Möglichkeit gegeben, mit dem Künstler selbst ein paar Worte zu wechseln, auf Französisch oder Italienisch, und hätte der Besucher nicht die Möglichkeit, sich selbst am Origami zu versuchen.
Eine Faltkarte, in die eng aneinander liegende konzentrische Kreise geschnitten sind, liegt bereit. Trennt man die Kreise voneinander, schafft dadurch fast eine Kugel, und zieht man an den beiden Seiten des Papiers, scheint die Faltform in der Karte zu rotieren. Faszinierend. Aber anspruchsvoll. Eine Herausforderung. Glücklicherweise, stand da ein hilfsbereiter Künstler nicht weit entfernt!


Christina Metz

 
 
 
 
 
 
 
Laudatio –Beatrice Adloff
 

Spontanes Staunen ist die erste Reaktion auf Ramin Razanis Arbeiten. Sie ziehen einen geradezu magisch an, verlangen nach genauerem Hinsehen und wollen verstanden werden. Origami – aus Papier falten – Kirigami – aus Papier schneiden, das sind Kunstfertigkeiten, die diese Arbeiten hervorbringen. Nicht mit dem künstlerischen Gebrauch von Pinsel, Meißel oder Schweißbrenner sondern mit Falt- und Schneidetechniken spannt Ramin Razani diese feingliedrigen Gebilde aus Karton auf. Da sind Objekte, die die Assoziation von Architektur hervorrufen.
Ramin Razani ist von Teheran nach Florenz gekommen um Architektur zu studieren. Dieses Studium hat ihn nicht in den Beruf des Architekten geführt, der etwa Häuser, Fabriken, Straßen oder Staudämme baut oder Entwürfe in Modellen darstellt. Stattdessen wurde Razani bekannt als Designer für Lampen, als Verfasser von Origami- und Kirigamibüchern und als Künstler.
So sehr sich die Vorstellung von Architekturmodellen aufdrängt, so stellt sich die Frage, welche Gebäude das denn sein könnten. Jedenfalls sind es keine bestimmten Bauwerke. Mit der Phantasie kann man sich Architektur vorstellen. Der Betrachter ist auf seine Phantasie verwiesen, die ihm Ideen zur Architektur nahelegen.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass Ramin Razani in Florenz studiert hat. Florenz kann als Wiege der Idee der Architektur verstanden werden, die sich mit dem Namen Filippo Brunelleschi verbindet. Natürlich haben die Menschen in allen Kultur auch vorher schon gebaut und selbstredend keineswegs planlos. Diese Idee ist für uns heute eine Weltanschauung, die wir nicht mehr teilen können, nämlich die Vorstellung von der Welt als architektonische Ordnung. Die Bedeutung dieser Weltanschauung liegt darin den Raum aus der menschlichen Sicht durch die Perspektive darstellen zu können. Brunelleschi gilt als Erfinder der mathematisch konstruierten und wissenschaftlich begründeten Perspektive. Das ist nicht nur eine Technik, mit der es gelingt Räumliches illusionär darzustellen. Der Renaissancemensch verstand darunter die Fähigkeit regelhaft sehen zu können, sich als Ich-Betrachter zur Weltarchitektur in Beziehung zu setzen und sich aus diesem Verhältnis überall und jederzeit orientieren zu können.
Wir leben heute nicht mehr mit diesem Weltbild. Aber wir kennen die idealisierten Räume im Koordinatensystem von Länge, Breite und Höhe, die über Punkte, Geraden und Flächen konstruierbar sind, noch aus der Schule. Wir wissen, dass unser natürliches Sehen das räumliche Sehen ist. Punkte, Geraden und Flächen können wir nur denken. Niemand kann einen geometrischen Ort mit der Ausdehnung Null, also einen Punkt, sehen. Wir können Punkte, Geraden und Flächen allerdings veranschaulichen.
An den Arbeiten von Ramin Razani wird deutlich, dass die Idee des regelhaften Sehens nichts von seiner kulturellen Kraft verloren hat. Er gewährt dem Betrachter den Blick in das Entstehen der Gebilde, die uns faszinieren, und zeigt den Karton in der Fläche, auf der die Linien und Schnittpunkt zu sehen sind. Eine Drehung, ein paar Knicke und das Gebilde ist wieder da.
Als Betrachter verstehen zu wollen, was es mit dieser Faszination auf sich hat, führt zu der eigenen Entwicklung, bzw. an die Stelle, wo die Entwicklung räumlicher Vorstellungskraft stehen geblieben ist. Fast jeder hat eine Vorschulorigamizeit durchlebt, in der man etwa einen Hut aus Papier falten konnte. Fortgeschritten war es dann schon, wenn man den Hut weiterfalten konnte zu einem Schiff. Damit ist es für die meisten Menschen schon auch wieder genug gewesen. Ein Hut und ein Schiff konnten dann Bestandteil eines Spiels sein. Ein Kind kann sich vorstellen mit einem Papierhut auf dem Kopf ein Kapitän zu sein, ein Kapitän des Papierschiffs. Das Schiff könnte in einen Sturm geraten, so dass der Mast abbricht. Im Spiel reicht es den Mast des Papierschiffs abzureißen. Natürlich gerät das Schiff vom Kurs ab, schleudert gegen ein Riff und auch der Bug und das Heck müssen abgerissen werden. Das Schiff versinkt mit Mann und Maus. Aber faltet man das Wrack aus Papier ein Stück auseinander, so zeigt sich die Form eines Hemdes, das noch eine Weile auf den Wellen treibt, bis es auch untergeht. Dieser letzte Rest Papier lässt sich noch einmal auseinanderfalten und ein Kreuz wird sichtbar als ein Zeichen für das kühle Grab im tiefen Meer. Das ist ein Kinderspiel.
Wenn ein so einfach gefaltetes Schiff wieder zurückversetzt wird in den Bogen Papier, so sind auf dem Papier die Knicke sichtbar, ein Muster aus sich schneidenden Geraden, aus denen nicht ersichtlich ist, wie daraus ein Schiff entstehen kann. Das ist kein Kinderspiel mehr.
Besser verstehen zu wollen verlangt also mehr vom Betrachter. Ramin Razani kann weiterhelfen.


Beatrice Adloff

 
 
 
 
 
Freisinger SZ-Kultur/ Dienstag 15. Dez. 2009
 
Freisinger Tagblatt-Kultur/ Donnerstag 17. Dez. 2009